Neue Technologien im Gesundheitssektor

Die Weltleitmesse der Medizinbranche lockte auch dieses Jahr wieder große Besucherströme aus dem In- und Ausland nach Düsseldorf. Abseits des Messegeschehens bot die Medica im Rahmen der verschiedenen Foren Interessantes zu hören und zu sehen. Es wurde diskutiert und präsentiert zu aktuellen Themen, die die Gesundheitsbranche umtreiben wie Big Data, Artificial Intelligence, Telemedizin, Präzisionsmedizin, Blockchain, Wearables, Augmented Reality oder Robotics. Einige der präsentierten Projekte und Fallbeispiele möchten wir Ihnen im Folgenden vorstellen.

Mobilitätsassistenzroboter

Beim Thema Robotics ging es nicht etwa um humanoide Roboter wie Atlas von Boston Dynamics, der beeindruckende Backflips hinlegen kann. Vielmehr standen Mobilitätsassistenzroboter wie Exoskelette, die Querschnittsgelähmten oder Schlaganfallpatienten ein Stück Mobilität zurückgeben, im Vordergrund. Das amerikanische Unternehmen Ekso Bionics nutzte das Connected Health Care Forum, um die Vorzüge seines Exoskeletts „EksoGT“ vorzustellen. Aufgrund der eingesetzten „Smart Assist“-Software handelt es sich um ein adaptives System, das die exoskelettale Unterstützung auf die Bedürfnisse des Trägers ausrichtet – von der vollen Unterstützung bis zu patienteninitiierten Bewegungen. Gleichzeitig misst das System verschiedene Parameter, die im Rahmen einer personalisierten Therapie ausgewertet werden können. Auch das taiwanesische Unternehmen Free Bionics berichtete stolz über die Erfolgsgeschichten seines Exoskelett-Modells. Noch sind Exoskelette ja eher klobig. Die Vision: schlankere und effizientere Versionen, die man einfach unter der Kleidung tragen kann.

Augmented Reality im Operationssaal

Das Fraunhofer IGD und das italienische Unternehmen ARSPECTRA warben für den Einsatz von Augmented Reality-Technologie im Operationssaal. AR-Brillen bieten eine direkte Ansicht der Daten und Informationen als Projektion vor die Augen, so dass der Operateur seine Augen nicht vom Operationsgebiet abwenden muss. Gewöhnlich holen sich die Chirurgen diese Informationen von einem externen Monitor. Das vorgestellte AR-System „3D ARILE“ ist eine Datenbrille mit See Through-Technologie. Die Navigation ist Fluoreszenz-basiert.

Künstliche Intelligenz

In einem Vortrag zum Thema Blockchain in der Gesundheitsindustrie wurde folgender Satz an die Leinwand projiziert: „The national sport in Germany is not football, it’s data protection.“ In der Tat scheint dieser Satz die Problematik zusammenzufassen, die die weitere Förderung von digitalen Lösungen in Deutschland hemmen könnte. Sind die Deutschen bereit für mehr Smart Health? Wie eine Umfrage des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Pricewaterhouse Coopers (PwC) zeigt, sind die Menschen in europäischen Ländern zwar weniger bereit, Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik für ihre Gesundheit zu nutzen als Menschen in afrikanischen und arabischen Ländern. Jedoch ist eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden. Jeder zweite Deutsche ist der Nutzung von KI nicht abgeneigt. Welchen Nutzen bringt sie uns? Hier einige Beispiele aus dem Vortrag von Creative Construction Heroes:

  • KI erhöht die Diagnosegenauigkeit.
  • KI ermöglicht die Vorhersage von Erkrankungen auf Basis der Auswertung der (elektronischen) Patiententakte. Technologien wie Wearables und Ingestibles wären ohne KI sinnlos.
  • Präzisionsmedizin ohne KI kann es nicht geben. Schließlich müssen große Mengen an Daten ausgewertet werden.
  • Auch die Pharmaindustrie profitiert von KI, um die Arzneimittelentwicklung schneller voranzutreiben.

Dabei geht es nicht um die Ersetzung des Arztes durch KI, vielmehr um eine Ergänzung von Mensch und Maschine. Nicht zuletzt sollte man sich mit den ethischen Fragen auseinandersetzen, die sich aus KI-Anwendungen ergeben. Man denke z. B. an Gen-Tests als Voraussetzung für den Abschluss einer Krankenversicherung.

Freie Bahn für Telemedizin

Mit dem Wegfall des Fernbehandlungsverbots in diesem Jahr geht es einen Schritt weiter auf dem Weg zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Jetzt kann sie also kommen – die Telemedizin. Seit Oktober bietet denn auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg ihr Angebot „docdirekt“ für gesetzlich Krankenversicherte im gesamten Ländle an. Sie soll die Lösung für überfüllte Notaufnahmen und den Ärztemangel auf dem Land sein. Das Angebot ist also da, doch die Patienten sind es nicht. Bisher wird docdirekt eher wenig genutzt, was mitunter daran liegen mag, dass es kaum beworben wurde. Die KV Baden-Württemberg sieht die Hürden für die Telemedizin vor allem im Fehlen eines e-Rezeptes. Das soll sich aber mit dem „Geschützten e-Rezept Dienst der Apotheken“ (GERDA) ändern. Ein weiteres Manko ist der Mangel an vergünstigten Versicherungskonditionen bei der Nutzung eines telemedizinischen Angebots.

In der Schweiz hingegen läuft es. Ein Vertreter des Telemedizinanbieters Medgate berichtete von seinen Erfahrungen. Die Konsultation wird über Telefon oder App angeboten. Erstaunlicherweise und eigentlich wiederum auch nicht: 90 Prozent der Anfragen an Medgate kommen noch klassisch über das Telefon, nur 10 Prozent über die App. 50 Prozent der Fälle werden telemedizinisch abgewickelt. So etwas wie ein e-Rezept gibt es bereits. Nur wird dieses aufgrund der noch fehlenden Telematikinfrastruktur ganz konventionell an die Apotheke gefaxt. Der Fortschritt kommt eben auf altmodischen Wegen. Der Zugang zu Medgate wird über die Krankenversicherung geregelt, die Medgate als erste Anlaufstelle für die Versicherten vorschreibt. Hier sieht man schon einmal den entscheidenden Vorteil gegenüber dem deutschen Modell. Eine Alternative bietet Medgate mit seinen Minikliniken, von denen es bisher nur zwei gibt – jeweils eine in Basel und Solothurn. Vom bisherigen Angebot unterscheiden sich die in Apotheken angesiedelten Minikliniken dadurch, dass eine medizinische Fachangestellte vor Ort als Bindeglied zwischen Patient und Tele-Arzt fungiert. Sie nimmt die Anamnese auf, bevor der Arzt in einer Videokonsultation dazugeholt wird.

Wie viel Digitalisierung wollen oder brauchen wir? Wir befinden uns auf einer spannenden Reise, in der uns viele Möglichkeiten technisch offenstehen. In der Zukunft werden uns die neuen Technologien nicht nur präzisere Diagnosen und personalisierte Therapien anbieten, sondern auch Erkrankungen vorhersagen und damit letztendlich auch das Potenzial haben, diesen vorzubeugen. Dafür müssen große Mengen an gesundheitsbezogenen Daten ausgewertet werden. Der Anteil der Daten, den der Einzelne über ein Self-Tracking von sich sammelt, wird dabei steigen. Wie schnell die digitale Zukunft kommt, hängt davon ab, wie viele ethische, datenschutzrechtliche und sonstige Fragen noch geklärt werden müssen.

Bildquelle: SVP Deutschland AG