In der Automobilindustrie müssen wir uns stärker auf die Kreislaufwirtschaft konzentrieren

Wer die Pressemitteilungen, Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte führender deutscher Automobilhersteller und Zulieferer verfolgt, könnte meinen, dass die Automobilindustrie hierzulande zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit gehört. Eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts Capgemini zeigt jedoch, dass die Unternehmen in diesem Bereich kaum Fortschritte gemacht haben.

So sinkt beispielsweise das durchschnittliche Investitionsvolumen in Nachhaltigkeitsinitiativen
von 1,24 Prozent des Umsatzes im Jahr 2019 auf 1,11 Prozent im Jahr 2022. Im internationalen Vergleich steht Deutschland allerdings noch recht gut da. Weltweit sind die Investitionen in Nachhaltigkeit von 1,22 Prozent des Umsatzes im Jahr 2019 auf aktuell 0,85 Prozent zurückgegangen.

Die Studie verzeichnet auch einen Abwärtstrend bei der Umsetzung von Kreislaufwirtschaftsinitiativen, obwohl dieser Bereich von den Unternehmen der Automobilindustrie weltweit als Kernthema zur Erreichung der langfristigen Klimaziele angesehen wird. Nur 63 Prozent der befragten deutschen Unternehmen geben an, über eine Kreislaufwirtschaftsstrategie zu verfügen, und nur 54 Prozent halten sich derzeit an die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in ihrer gesamten Wertschöpfungskette. Allerdings liegt Deutschland auch in diesem Punkt über dem internationalen Durchschnitt.

Trotz aller Forderungen nach mehr sehen wir auch vielversprechende Bemühungen der Kunden und der großen Akteure der Automobilindustrie, insbesondere in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft. So hat Stellantis zu Beginn des Jahres mit der Übernahme von Stimcar sein Engagement im Bereich des Recyclings von Gebrauchtfahrzeugen ausgebaut. Darüber hinaus kündigte die Gruppe im Oktober die Gründung einer eigenen Geschäftseinheit für die Kreislaufwirtschaft an, die bis 2030 einen Umsatz von mehr als zwei Milliarden Euro erwirtschaften soll.

Der Schwerpunkt des neuen Geschäftsbereichs liegt darauf, „die Lebensdauer von Fahrzeugen und Ersatzteilen so weit wie möglich zu verlängern und Materialien und Altfahrzeuge in den Produktionskreislauf zurückzuführen“. Für den neuen Geschäftsbereich wurde ein entsprechendes 360°-Geschäftsmodell entwickelt, das auf vier Strategien basiert.

Stellantis – 4R-Strategy

Neben Stellantis setzt auch Renault mit dem Konzept „Re-Factory“ auf die industrielle Aufbereitung von Altfahrzeugen und stellt die Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt seiner Nachhaltigkeitsziele. Am Produktionsstandort Flin in Nordfrankreich werden ab 2020 die Anlagen und Prozesse entsprechend neu ausgerichtet. Der Fokus liegt dabei auf dem gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs und stützt sich, ähnlich wie bei Stellantis, auf vier zentrale Säulen.

Renault – 4 Pillars

Darüber hinaus hat die Renault-Gruppe kürzlich das Unternehmen „The Future is NEUTRAL“ gegründet, das das gesamte Wissen im Bereich der Kreislaufwirtschaft bündelt und geschlossene Lösungen für jede Phase des Lebenszyklus eines Fahrzeugs anbieten soll. Von besonderem Interesse ist dabei die Verwertung von Altfahrzeugen. Bislang werden die Wertstoffe von Altfahrzeugen weitgehend für andere Branchen verwertet.

Ziel von The Future ist NEUTRAL ist es nun aber, aus jedem Fahrzeug die größtmögliche Menge an Material zurückzugewinnen und bei der Produktion von Neufahrzeugen per se einen deutlich höheren Anteil an recycelten Automobilwerkstoffen zu erreichen (das Auto als Rohstoff). Laut der Pressemitteilung der Renault-Gruppe vom Oktober 2022 wird sie das erste Unternehmen sein, das in der gesamten Wertschöpfungskette der automobilen Kreislaufwirtschaft tätig ist und sich an alle Akteure der Automobilwelt außerhalb der Renault-Gruppe wendet.

Die Automobilindustrie befindet sich in einem Umbruch, der bisher von der Umstellung auf Elektrofahrzeuge dominiert wird. Das Erreichen der Pariser Klimaziele erfordert aber auch ein stärkeres Engagement in der Kreislaufwirtschaft. Wir beobachten hier erste Ansätze, fordern aber mehr, zumal die Kreislaufwirtschaft auch Chancen bietet, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und zusätzlich Kosten zu sparen.

Norman Pirngruber, Market Intelligence Senior Expert

Quellen: