Wo bekommen wir unseren Wasserstoff her?

Der „Green Deal“ der Europäischen Kommission verfolgt das Ziel, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen und die deutsche Industrie will bereits in den nächsten 10 bis 15 Jahren auf CO2-neutral umsteigen. Das heißt, dass der Bedarf an Energie aus regenerativen Quellen immens ansteigen wird. Dabei stellt sich die Frage, ob es in Deutschland oder Europa in absehbarer Zukunft überhaupt genügend Wind- und Solaranlagen geben wird, um den gesamten Energiebedarf zu decken. Um die Klimaziele erreichen zu können, wären Power-to-X-Technologien äußerst hilfreich. Doch auch diese erfordern große Mengen regenerativer Energie. Die Rede ist hier immer wieder von „Überschussstrom“, der hierfür genutzt werden soll.

Es gibt immer wieder Zeiten, in denen zu viel erneuerbare Energie erzeugt wird. Ein Beispiel war das Sturmtief Sabine von Anfang Februar, das die On- und Offshore-Windräder auf Hochtouren laufen ließ, mit einer Leistungsspitze von fast 45 Gigawatt. Dieser Überschussstrom, auch aus Solarenergieanlagen, soll künftig methanisiert und im Erdgasnetz gespeichert werden. Es geht darum, effizientere Nutzungschancen für den stetig steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung zu erschließen. Allerdings waren vor einem Jahr in Deutschland gerade mal 50 Power-to-Gas-Anlagen mit einer elektrischen Gesamtleistung von ca. 50 MW in Betrieb oder Planung. Zwar wurden 2019 weitere Projekte mit einer Elektrolyseleistung von insgesamt fast 600 MW angekündigt. Dabei handelt es sich jedoch in erster Linie um kleinere Pilotanlagen. Anders ausgedrückt: eine wirtschaftliche Wasserstoffelektrolyse mit vorwiegend „Überschussstrom“ wird es hierzulande nicht geben, zumindest nicht auf absehbare Zeit in den benötigten Mengen.

Es ist längst klar, dass die Produktion von PtX-Stoffen wie Wasserstoff hauptsächlich im Ausland an sonnen- oder windreicheren Standorten stattfinden muss. Eine Fraunhofer-Studie hat Marokko als Standort für Power-to-X-Anlagen untersucht. Die Voraussetzungen zu einem wichtigen Lieferanten für klimaneutral hergestellte Energieträger zu werden sind gut. Zwei bis vier Prozent der weltweiten Nachfrage, ein Markt von 100 bis 680 Milliarden Euro im Jahr 2050, könnten theoretisch von Marokko gedeckt werden. Doch auch hier gibt es das gleiche Problem: Wenn man fossile Energieträger vollständig durch synthetische Energieträger ersetzt, vervierfacht sich die aus Erneuerbaren zu erzeugende Strommenge. Dies hätte nicht zu vernachlässigende Auswirkungen auf die Umwelt in Marokko, beispielsweise einen erhöhten Flächen-, Wasser- und Ressourcenverbrauch.

Autor: Doris Höflich, Market Intelligence Senior Expert, SVP Deutschland AG
Quelle: Cleanthinking, 17.12.2019
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