Grüner Wasserstoff hat ein Wasserproblem
Die meisten der weltweit geplanten Projekte zur Herstellung von grünem Wasserstoff sollen in wasserarmen Regionen angesiedelt werden. Macht es Sinn, eine saubere Energiequelle zu schaffen, die im Gegenzug Ökosysteme zerstört? In einer Welt, die immer stärker unter klimabedingter Trockenheit leidet, benötigt die Produktion von Wasserstoff große Mengen an Süßwasser.
Wasserstoff gilt als Schlüssel zur Lösung der Klimakrise, da seine Nutzung erhebliche Umweltvorteile bieten kann. Wird Wasserstoff durch Elektrolyse hergestellt, bei der Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird, und wird dabei erneuerbare Energie wie Wind- oder Sonnenenergie verwendet, entstehen keine CO2-Emissionen. Das macht den so erzeugten grünen Wasserstoff besonders umweltfreundlich. Bei der Nutzung von Wasserstoff in Brennstoffzellen entsteht als Abfallprodukt lediglich Wasserdampf, so dass keine schädlichen Treibhausgase freigesetzt werden. Dies leistet einen wichtigen Beitrag zur Luftreinhaltung und zum Klimaschutz.
Wasserstoff hat heute einen Anteil von weniger als zwei Prozent am europäischen Energieverbrauch, wird aber Prognosen zufolge schon bald eine deutlich größere Rolle spielen. In der Industrie oder im Schwerlast- und Flugverkehr soll er in den kommenden Jahren schrittweise Erdgas, Erdöl und Kohle ersetzen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist eine zentrale Aufgabe für die EU. Die Dynamik für sauberen Wasserstoff in Europa hat mittlerweile etwas an Fahrt gewonnen, nicht zuletzt durch überarbeitete Richtlinien der EU. RED II enthält nun ein verbindliches Ziel für alle Akteure der EU-Industrie, die derzeit grauen Wasserstoff verwenden. Sie müssen bis 2030 mindestens 42 Prozent ihres grauen Wasserstoffs durch grünen Wasserstoff ersetzen. Ölraffinerien, die größten Verbraucher von Wasserstoff, werden dem Verkehrssektor zugeordnet. Dieser Sektor muss bis 2030 mindestens ein Prozent wasserstoffbasierte Kraftstoffe in seinen Kraftstoffmix aufnehmen.
In Europa wird die Nachfrage nach Wasserstoff voraussichtlich in Deutschland dominieren, gefolgt von Frankreich, Italien und den Niederlanden. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) werden in Deutschland bis 2030 etwa 95 bis 130 Terawattstunden des Energieträgers benötigt. Nur etwa 30 Prozent des Bedarfs sollen aus heimischer Produktion gedeckt werden. Deutschland wird in den kommenden Jahren mehr als fünf Milliarden Euro in die internationale Wasserstoffbeschaffung investieren. Erste Ausschreibungen für Wasserstoffimporte sind bereits angelaufen.
Der Ausbau der Kapazitäten für erneuerbare Energien, zur Herstellung von grünem Wasserstoff und grünen Syntheseprodukten, ist von zentraler Bedeutung. Daher ist es von besonderem Interesse, die weltweiten Potenziale erneuerbarer Energien zu ermitteln und Regionen zu identifizieren, die besonders geeignet sind für die Erzeugung erneuerbarer Energien als Grundlage für die Wasserstoffproduktion. Die Stromkosten machen 40 bis 60 Prozent der Kosten für erneuerbaren Wasserstoff aus. Die Verfügbarkeit einer kostengünstigen erneuerbaren Stromquelle ist daher ein wesentlicher Faktor für einen wettbewerbsfähigen Wasserstoffpreis. Die Photovoltaik ist die günstigste Stromquelle der Welt. Die Regionen mit den höchsten Volllaststunden für PV befinden sich in Chile, Nahost, Nordafrika und Australien. Man sollte jedoch die Rechnung nicht ohne den Rohstoff Wasser machen.
Wasserstoffpartnerschaften
Deutschland und die Europäische Union haben in den letzten Jahren Wasserstoffpartnerschaften mit diversen Ländern aufgebaut, um die Entwicklung und den Import von grünem Wasserstoff voranzutreiben. Ziel dieser Partnerschaften ist es, die Versorgung Europas mit grünem Wasserstoff sicherzustellen, um die Klimaziele zu erreichen und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu beschleunigen.
Chile
Chile gilt als ein vielversprechender Partner dank optimaler Solar- und Windbedingungen. Partnerschaften mit Deutschland zielen auf die Entwicklung von Wasserstoffprojekten und den zukünftigen Export nach Europa. Gleichzeitig leiden in Chile heute schon viele Regionen unter Wassermangel. Etwa drei Viertel des Landes sind von Dürre, Wüstenbildung oder Bodenverschlechterung betroffen.
Namibia
Das gesamte südliche Afrika leidet unter einer historischen Trockenheit, verursacht durch das Wetterphänomen El Niño und verstärkt durch den Klimawandel. Namibias Regierung rief im Mai den Notstand aus und sprach von der schlimmsten Dürre seit 100 Jahren. Derweil zeigt Namibia großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Deutschland im Bereich Wasserstoff. Das Land will ein wichtiger Exporteur von grünem Wasserstoff zu werden.
Marokko
In Marokko gibt es ähnliche Pläne. 2024 lag die Niederschlagsmenge 70 Prozent unter dem Durchschnitt eines normalen Jahres. Selbst die Verwendung von Wasser aus Staudämmen für wichtige landwirtschaftliche Gebiete wurde gestoppt. Die Liste lässt sich mit Saudi-Arabien, Australien und anderen fortsetzen.
Spanien
Spanien strebt den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit einem Ziel von 4 Gigawatt Elektrolysekapazität bis 2030 an. Ab 2026 sollen Wasserstoffderivate nach Rotterdam exportiert werden. Spanien ist dank Wind- und Solarenergie ein attraktiver Standort für erneuerbaren Wasserstoff. Dabei hat Spanien immer wieder mit Wassermangel zu kämpfen. Ohne Meerwasserentsalzung geht es nicht.
Wasserstress
Süßwasser ist für die Wasserstoffproduktion von entscheidender Bedeutung. Für die Herstellung von einem Kilogramm grünem Wasserstoff werden etwa neun Liter benötigt, für die Herstellung von einem Kilogramm blauem Wasserstoff 12 bis 19 Liter. Dabei ist zu beachten, dass es sich um reines Wasser handelt, das der Elektrolyse zugeführt wird. Je nach Elektrolyseverfahren und eingesetzter Technologie können zusätzliche Wassermengen zur Kühlung oder Reinigung benötigt werden.
Der Süßwasserverbrauch für die weltweite Wasserstoffproduktion könnte sich bis 2040 mehr als verdreifachen und bis 2050 im Vergleich zu heute versechsfachen. Mehr als 35 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für grünen und blauen Wasserstoff (in Betrieb und geplant) befinden sich in Regionen mit großer Wasserknappheit.
Länder mit hohem Wasserstress – Prognose 2050
Weltweit übersteigt die Nachfrage nach Wasser das Angebot. Wasserstress, das Verhältnis zwischen Wasserbedarf und erneuerbarem Wasserangebot, ist ein Maß für die Konkurrenz um lokale Wasserressourcen. Ein Land, das unter „extremem Wasserstress“ leidet, verbraucht mindestens 80 Prozent seiner verfügbaren Reserven, bei „hohem Wasserstress“ sind es 40 Prozent. Der globale Wasserbedarf wird bis 2050 voraussichtlich um 20 bis 25 Prozent steigen. Für den Nahen Osten und Nordafrika bedeutet dies, dass bis 2050 100 Prozent der Bevölkerung unter extremem Wasserstress leben werden.
Entsalzungsanlagen sind nicht nachhaltig
Wenn das Problem der Wasserverfügbarkeit auftritt, ist der Ausbau von Entsalzungsanlagen die Lösung der Wahl. Moderne Entsalzungsanlagen entfernen das Salz entweder durch thermische Destillation, bei der das Meerwasser erhitzt und der Wasserdampf aufgefangen wird. Oder sie arbeiten mit der so genannten Umkehrosmose, bei der das Wasser durch halbdurchlässige Filtermembranen gepresst wird.
Entsalzungsanlagen verbrauchen viel Energie. Bisher werden sie meist mit fossilen Brennstoffen wie Öl oder Kohle betrieben und sind entsprechend klimaschädlich. An nachhaltigeren Technologien mit erneuerbaren Energien wird gearbeitet.
Meerwasserentsalzungsanlagen erzeugen zudem große Mengen an Salzwasserabfällen. Das abgeschiedene Salzwasserkonzentrat wird ins Meer zurückgeleitet und kann durch den erhöhten Salzgehalt lokale Meeresökosysteme schädigen. Ein weiteres Problem ist die chemische Verschmutzung. Bei der Entsalzung werden häufig Chemikalien zur Reinigung und Wartung der Anlagen eingesetzt. Diese Chemikalien können ins Meer gelangen, wenn sie nicht ordnungsgemäß entsorgt werden.
Entsalzungsanlagen verbrauchen viel Energie und belasten die Umwelt. Sie sind teuer, was die Preise für die Wasserstoffproduktion in die Höhe treiben. Arme Länder können sie sich solche Anlagen kaum leisten.
Hinzu kommt, dass viele installierte Photovoltaikmodule in heißen Regionen auf Betriebsprobleme stoßen, da ihre Effizienz bei Temperaturen über 25 Grad Celsius deutlich abnimmt. Sand- und Staubpartikel lagern sich auf Solarmodulen und müssen regelmäßig mit Süßwasser gereinigt werden.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es auch in den nordischen Ländern große Potentiale für erneuerbare Energien gibt, die für die Produktion von Wasserstoff nutzbar wären und wo Wassermangel kein Thema ist. Norwegen, Dänemark, Finnland oder auch Kanada haben ebenso Vereinbarungen zur Förderung der Produktion und des Exports von grünem Wasserstoff getroffen. Aber ein Gros der Projekte befindet sich in wasserarmen Gebieten. Laut dem European Hydrogen Observatory werden mehr als 23 Prozent der europäischen Projekte für grünen Wasserstoff und 14 Prozent der Projekte für blauen Wasserstoff bis 2040 voraussichtlich in Gebieten mit hohem oder sehr hohem Wasserstress liegen.
Die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft sollte nicht ausschließlich auf finanzielle und technische Aspekte fokussiert sein. Die wahre Herausforderung liegt in der Sicherstellung der Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Entsalzungsanlagen sind nicht nachhaltig. Auch stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, eine zwar saubere Energiequelle zu schaffen, wenn dies auf Kosten von eh schon sehr knappen, regionalen Süßwasserreserven in ariden Gegenden geschieht.
Wasserstoff made in Germany
Das aktualisierte Gutachten des Wuppertal Instituts, das sich vor allem auf die Zeit ab 2030 fokussiert, unterstreicht die Vorteile von grünem Wasserstoff, der aus heimischen erneuerbaren Energien gewonnen wird. Besonders wenn man das Thema aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet, zeigt sich, dass eine verstärkte nationale Produktion von grünem Wasserstoff sinnvoll ist. Ein entscheidender Punkt dabei ist, dass aktuelle Studien einen Rückgang der Produktionskosten für grünen Wasserstoff in Deutschland belegen. Diese Kosten liegen in vielen Fällen unter den Importkosten für Wasserstoff, der per Schiff transportiert wird, und sind oft auch konkurrenzfähig mit Pipeline-Importen. Neben der Produktion ist auch die Anwendung von Wasserstoff entscheidend für eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft.
Um die bis 2030 mögliche Wasserstoffproduktion effizient zu nutzen, empfiehlt das Wuppertal Institut, den Einsatz auf unverzichtbare Anwendungen zu konzentrieren, wie etwa in der Stahl- oder Chemieindustrie, die ohne grünen Wasserstoff nicht klimaneutral werden können. Dies würde dazu beitragen, die zukünftige Nachfrage nach Wasserstoff zu begrenzen und somit auch die erforderlichen Mengen an Produktion und Import zu reduzieren.
Doris Höflich, Market Intelligence Senior Expert
Quellen:
- IRENA 2023
- The Arab Gulf States Institute Washington, 13.02.2024
- BMWK, 01.06.2023
- World Resources Institute, 16.08.2023
- Wuppertal Institut, 27.06.2023