Kreislaufwirtschaft im Gesundheitssektor

Der Gesundheitssektor ist für einen signifikanten Anteil an der deutschen Rohstoffbilanz verantwortlich. Sein Beitrag zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, beziehungsweise zur Ressourcenschonung, ist daher nicht zu unterschätzen. Das lineare Wirtschaftsmodell oder die „Wegwerfwirtschaft“ haben sich jedoch fest im Gesundheitssektor etabliert – gut sichtbar an der Allgegenwärtigkeit von Einmalprodukten, deren Notwendigkeit aus hygienischer Sicht nicht immer begründet ist. Abfall ist daher ein großes Problem. Abfallvermeidung und -management werden somit immer wichtiger. Der Gesundheitssektor agiert im Spannungsfeld zwischen Patientensicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Die Gesundheitswirtschaft muss zirkulär werden. Dafür braucht es neben dem Willen zur Transformation auch eine Führung und klare Vorgaben.

In allen Bereichen der Wirtschaft herrscht mittlerweile ein Bewusstsein für notwendige Änderungen, um die Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Der Gesundheitssektor ist jedoch noch weit davon entfernt zirkulär zu sein. Viel eher hat sich das lineare „take, make, waste“-Konzept der Wertschöpfung fest in der Gesundheitswirtschaft verankert. Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) zufolge belief sich der gesamte Rohstoffkonsum des deutschen Gesundheitssektors im Jahr 2016 auf etwa 107 Millionen Tonnen pro Jahr, also etwa 1,3 Tonnen pro Kopf und Jahr, und ist seit 1995 von knapp 60 Millionen Tonnen um etwa 80 Prozent gestiegen. Der Gesundheitssektor ist damit für rund 5 Prozent des gesamten deutschen Rohstoffkonsums verantwortlich und steht an vierter Stelle nach den Bereichen Bauarbeiten, öffentliche Verwaltung und weiterverarbeitete Lebensmittel. Es ist davon auszugehen, dass der Rohstoffkonsum des Gesundheitssektors mit der Steigerung seiner Wertschöpfung zunehmen wird. Sein Beitrag zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen in Deutschland wird deshalb immer wichtiger.

Hohes Abfallaufkommen

Gleichzeitig produziert der Gesundheitssektor erhebliche und zunehmende Abfallmengen. Das Online-Magazin abfallmanager-medizin.de gibt mit Bezug auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2014 an, dass eine Klinik am Tag rund sieben bis acht Tonnen Abfall produziert, das sind auf alle Krankenhäuser hochgerechnet im Jahr rund 4,8 Millionen Tonnen. Damit gelten Krankenhäuser als der fünftgrößte Müllproduzent in Deutschland. Zum Vergleich: Das gesamte Abfallaufkommen in Deutschland beträgt rund 401 Millionen Tonnen. Rund 90 Prozent aller medizinischen Abfälle sind aus infektionspräventiver Sicht nicht gefährlich.  

In einer Studie zum Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern hat das Deutsche Krankenhausinstitut eine Abfrage zum Abfallaufkommen in den teilnehmenden Krankenhäusern durchgeführt. Das Abfallaufkommen pro Krankenhaus lag demnach für das Jahr 2019 bei 420,19 Tonnen (Median) oder 1.430 Kilogramm Abfall pro Krankenhausbett. Das ist fast dreimal so hoch wie das jährliche Abfallaufkommen einer Person (457 Kilogramm) im privaten Haushalt. Einen großen Teil davon machten nicht-infektiöse medizinische Patientenabfälle aus, gefolgt von gemischtem Siedlungsabfall sowie Küchen- und Kantinenabfällen.

Anmerkung: Durchschnittswerte sind als Median ausgewiesen
Quelle: Deutsches Krankenhausinstitut e.V

Laut Ärzteblatt wünschen sich viele Ärztinnen und Ärzte, weniger Müll zu produzieren. Eine Umfrage am Universitätsklinikum Bonn ergab, dass 84 Prozent der Teilnehmenden der Aussage zustimmten, sie könnten einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Medizin leisten. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaschutz im Allgemeinen bzw. Abfallmanagement im Speziellen ist jedoch von Krankenhaus zu Krankenhaus unterschiedlich und nicht selten abhängig von engagierten Einzelpersonen. Kliniken mit engagierten Nachhaltigkeitsmanagerinnen und -managern, deren Arbeit von der Geschäftsführung unterstützt wird, weisen bereits Erfolge im Rahmen des Transformationsprozesses auf, während andere noch ganz am Anfang stehen. Zudem scheinen stationäre Leistungserbringer eher geneigt, sich mit dem Thema Ressourcenschonung zu beschäftigen, als ambulante Leistungserbringer. Und manchmal ist der Wille zur Transformation vorhanden, es fehlt jedoch für die Umsetzung schlichtweg der Experte, der die Kliniken bei der sinnvollen Mülltrennung unterstützt. 

Kreislaufwirtschaft: Verlängerung des Produktlebenszyklus

Unbestreitbar wird künftig das Abfallmanagement im Gesundheitswesen immer bedeutender, um ressourcenschonend zu agieren, weniger Rohstoffe zu verbrauchen, Wertstoffe zurückzugewinnen oder Abfälle umweltgerecht zu entsorgen. Abfallvermeidung und -management sind ein essenzieller Bestandteil der von der EU angestrebten Kreislaufwirtschaft.

„Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell der Produktion und des Verbrauchs, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden. Auf diese Weise wird der Lebenszyklus der Produkte verlängert.

In der Praxis bedeutet dies, dass Abfälle auf ein Minimum reduziert werden. Nachdem ein Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, verbleiben die Ressourcen und Materialien so weit wie möglich in der Wirtschaft. Sie werden also immer wieder produktiv weiterverwendet, um weiterhin Wertschöpfung zu generieren.“

Source: European Parliament, https://www.europarl.europa.eu/news/en/headlines/economy/20151201STO05603/circular-economy-definition-importance-and-benefits, (accessed 21.05.2023)

Die Schaffung effizienterer und nachhaltigerer Produkte von Anfang an würde dazu beitragen, den Energie- und Ressourcenverbrauch zu reduzieren, da schätzungsweise über 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts während der Designphase bestimmt werden. Die Umstellung auf zuverlässigere Produkte, die wiederverwendet, aufgerüstet und repariert werden können, würde die Abfallmenge reduzieren. Gleichzeitig würde die Nutzung natürlicher Ressourcen verlangsamt und die Zerstörung von Landschaften und Lebensräumen verringert werden.

Spannungsfeld Patientenwohl, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit

Im Spannungsfeld zwischen Medizin, Patientensicherheit (Stichwort Hygiene), Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit ist das Thema Wiederverwendung ein kompliziertes Thema. Der Gebrauch von Einwegprodukten, seien es Einmalprodukte aus Plastik oder chirurgische Instrumente aus Metall, wird von Stakeholdern des Gesundheitssektors zwar zunehmend als großes Umweltproblem angesehen. So setzt sich die Nichtregierungsorganisation Health Care Without Harm (HCWH) Europe in ihrer Kampagne #PlasticFreeHealthcare für eine reduzierte Nutzung von Einmalprodukten aus Plastik ein. Doch obwohl die Ressourceneffizienz beispielsweise durch die Förderung der Wiederverwendung gesteigert werden könnte, sprechen mittlerweile Kostengründe gegen eine Wiederaufbereitung medizinischer Werkzeuge. Ein weiterer ausschlaggebender Faktor ist zudem die Ansicht, dass es aus hygienischen Gründen ohnehin besser sei, Einmalprodukte zu nehmen.

Zirkuläre Wirtschaft: Projekte im Gesundheitssektor

umweltverträgliche Lösungen für den Umgang mit digitalen Gesundheitsgeräten zu entwickeln, um das weltweit wachsende Problem der Abfälle im Gesundheitswesen zu entschärfen. Der Fokus liegt auf den vier Geräten ePaper-Labels, intelligente Wearable-Sensoren, Pillenboxen und Endocutter. An dem Projekt sind europäische Praxispartner wie Janssen-Cilag und Johnson & Johnson sowie Universitäten wie die Ruhr-Universität Bochum beteiligt. In gemeinschaftlichen Pilotprojekten in Norwegen, Belgien, Slowenien, Spanien und Deutschland werden in mehreren Ökosystemen des Gesundheitswesens die entwickelten Lösungen umgesetzt, getestet und demonstriert.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) indes sucht aktuell nach „innovativen, modellhaften und punktuell in die Praxis umgesetzten Leuchtturmprojekten, die als „proof of concept“ konkrete Lösungsansätze für einen verantwortungsvollen und sparsamen Umgang mit Ressourcen im Gesundheitssektor aufzeigen.“ (Quelle: https://www.dbu.de/themen/foerderinitiativen/circulaid (accessed 21.05.2023)). Im Rahmen von #DBUcirconomy wurde daher die Förderinitiative „CirculAid – Kreislaufwirtschaft im Gesundheitswesen“ gestartet, mit dem Ziel, den Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesen zu reduzieren. Die Initiative richtet sich an Hersteller chemisch-pharmazeutischer Erzeugnisse und medizintechnischer Geräte, Leistungserbringer im Gesundheitswesen sowie Hochschulen und Ausbildungsstätten im medizinischen Bereich.

Um die Kreislaufwirtschaft in seiner Organisation voranzutreiben, setzt der niederländische Medizintechnikkonzern Philips auf ein angepasstes Dienstleistungsangebot mit neuen Geschäftsmodellen:   

Führungsaufgabe Kreislaufwirtschaft

Für eine flächendeckeckende Umsetzung von Maßnahmen im Gesundheitswesen im Sinne einer zirkulären Wirtschaft bedarf es jedoch klarer Vorgaben. So hat das Berliner Centre for Planetary Health Policy in einer Umfrage zum Stand der Transformation hin zu einem klimaneutralen und klimaresilienten Gesundheitswesen festgestellt, dass das Thema noch nicht als Führungsaufgabe in der Klinikleitung aufgegriffen wurde. Das Fraunhofer ISI empfiehlt das Thema Ressourcenschonung im Gesundheitssektor stärker auf die politische Agenda zu setzen und resümiert in seiner vom Umweltbundesamt beauftragten Studie: „Für die Implementierung konkreter ressourcenschonender Maßnahmen fehlt es nicht an einschlägigem Wissen, sondern eher an der Zusammenführung der verstreut vorliegenden Informationen.“ 

Das Bewusstsein für eine Transformation des linearen Wirtschaftsmodells hin zu einer Kreislaufwirtschaft ist vorhanden. Es fehlt jedoch eine übergeordnete Strategie für das Gesundheitswesen, um über Einzel- oder Leuchtturmprojekte hinaus eine umfassende Transformation zu erzielen.

Thip Pruckner, Market Intelligence Expert

Quellen: