Künstliche Nervenfasern

Gerd Altmann, pixabay.com

Biegsame und dehnbare Elektronik findet man heutzutage immer öfter, z. B. in künstlicher Haut oder Robotern aus stark flexiblen Materialien (soft robotics), da diese Nachgiebigkeit den biologischen Systemen sehr ähnlich ist. So biegsam diese Strukturen sind, so anfällig sind sie für mechanische Beschädigungen wie Kratzer oder Risse. Das ist oftmals auch der Hauptgrund für entsprechende Geräteausfälle.

Die Entwicklung selbstheilender Materialien kann diesen Folgen entgegenwirken, was wiederum die Lebensdauer der Geräte und die Nutzungssicherheit erheblich erhöhen kann.
Bis heute wurden bereits zahlreiche dieser selbstheilenden Materialien entwickelt, die auf recht unterschiedlichen Wirkungsweisen beruhen und erfolgreich in flexiblen Touchscreens oder tragbaren Energiegeneratoren eingesetzt wurden. Ein großes Problem hatten diese Materialien allerdings immer: Kalte Umgebungstemperaturen, wie im Winter oder Einsatz in hohen Breitengraden, setzt diesem Prozess zu. Er verlangsamt sich oder ist bei diesen Bedingungen einfach nicht mehr möglich.

Baut man nun ein polymeres Gerüst aus einem Polyvinylalkohol mit vielen -OH Gruppen und einem Polyethylenimin, reich an Amino-Gruppen, wird dieses über Wasserstoffbrücken und elektrostatische Wechselwirkungen zusammengehalten. Fügt man anschließend Lithium Ionen z. B. aus Lithiumchlorid hinzu, werden diese durch sehr viel gebundenes Wasser stark hydratisiert und bilden somit das „Fleisch und Blut“ dieses Gerüsts.

Geht man mit der Temperatur unter 0 Grad Celsius, so bricht die vormals stark gerichtete Anordnung der Wasserstoffbrückenbindungen auf und macht einer Rekonstruktion der Wechselwirkungen und der Diffusion von Polymersegmenten während des Selbstheilungsprozesses Platz. Dieses ionische Hydrogel hat auch bei Minusgraden eine konstante Selbstheilungsleistung, eine beständige Leitfähigkeit und Ultradehnbarkeit und bildet damit ein hervorragendes Ausgangsmaterial für elektronische Geräte.

Um dies zu veranschaulichen haben chinesische Forscher eine künstliche Nervenfaser entwickelt, indem sie sowohl Struktur als auch Eigenschaft der potentialgesteuerten Signalübertragung eines Axons nachbildeten. Diese Struktur wurde dann in einen Roboter integriert und zeigte unter kalten Bedingungen und starken Deformationen weiterhin einen erstaunlich hohen Informationsdurchsatz, und das sogar bei Temperaturen bis zu -80 Grad Celsius.

Die Nanostruktur dieses Hydrogels wurde daraufhin noch weiter optimiert und erreichte dann sogar eine Selbstheilung binnen 10 Minuten, eine Verformungstoleranz von über 7.000 Prozent, eine hervorragende Leitfähigkeit und einen Gefrierschutz, was sonst in Kombination aller Eigenschaften nicht zu erreichen ist. Dieses Hydrogel eröffnet somit ganz neue Möglichkeiten für den Einsatz elektronischer Geräte bei hohen Minusgraden, z. B. Roboter bei unbemannten Missionen unter extremen Bedingungen.

Höchst spannend, wie ich finde – wir bleiben dran.

Dr. Ronald Hinz, Market Intelligence Senior Expert

Quellen: